Dez 222015
 

Hier zu Teil 1

„Ich hatte es satt, wissen Sie? Einfach satt! Ich meine gut, ich hab diesen ganzen Weihnachtskram angestoßen und anfangs war ja auch alles wunderbar. Alle happy, alle frohlockten fröhlich vor sich hin, aber scheeeeißeee, sehen Sie doch was daraus geworden ist!?“
Der Wirt schaute sich auf die ausladende Geste des Alten hin mechanisch in seinem Lokal um, verstand aber nicht was sein Lokal mit dem Zustand von Weihnachten im Großen und Ganzen zu tun hatte. Überhaupt war er sich nicht ganz sicher ob er dem Gesagten folgen konnte.
„Ähh…“
„Alles was ich wollte war Besinnlichkeit, Freude, Frieden, Liebe und der ganze Kram! Ist das denn zu viel verlangt?!“ Der Alte wirkte nun sehr verärgert. Erinnerte den Wirt ein bisschen an Rumpelstilzchen.
„Ähh…“
„Und was haben sie daraus gemacht?!“
Der Wirt machte eine wage Geste in den leeren Schankraum und zuckte gleichzeitig leicht verzweifelt und resignierend die Schultern.
„Genau! Traurig, nicht?“
„Ähh…“
„Worauf ich hinaus will ist, dass ich nie darauf hinaus wollte, dass das alles nur noch ein riesiges hektisches Geschäft wird. Klar, Weihnachten hat immer noch seinen Reiz und so, aber dieser Schenkungszwang und dieses Kaufen-Kaufen-Kaufen und der Terminstress und diese aggressive Weihnachtsdeko und…und…ich meine, schauen Sie sich doch mal um!“
Der Wirt schaute sich um.
Seine Mutter hatte darauf bestanden einen Weihnachtskranz an die Tür zu hängen und in den Fensterbrettern stand jeweils ein 1 Woche nach dem Kauf bereits sehr verkümmert aussehender Weihnachtsstern in einem mal golden, mal silbern glitzernden Blumentopf. Dann noch ein beweglicher, singender Weihnachtsmann mit Glocke in der Hand auf dem Tresen, von dem er behauptete, dass die Batterien alle seien, solange bis seine Mutter seine vorgeschobene Vergesslichkeit nicht mehr als Ausrede hinnehmen, selbst Batterien kaufen und ihn bitten würde sie einzusetzen und er dann behaupten müsste der billige Chinaschrott sei wohl bereits kaputt. Außerdem hatte er die weißen Kerzen gegen rote ausgetauscht und nicht zu weihnachtliche, eher winterliche Servietten ausgelegt, aber sonst… Nicht mal eine Lichterkette hatte er aufgehangen. Allerdings hatte er ja auch diese Lichterkettenphobie seitdem sich sein Religionslehrer in der 4.Klasse mit einer Lichterkette erhängt hatte. Sie war bunt und hatte noch geblinkt als er ihn fand. Aber alles in allem wirkte seine Weihnachtsdekoration nicht besonders aggressiv. Da gab es wesentlich Schlimmeres. Erst an diesem Moment seiner Überlegung beschlich ihn die Vermutung, dass das genau der Punkt war auf den der Alte hinaus wollte.
„Ja…ähh…“
„Die Götter wissen ich hab mir das wirklich lange mit angeschaut. Doch als ich zum x-ten Jahr in Folge mit ansehen musste wie die meisten Geschenke von Menschen gemacht werden, die sich davon nie selbst was leisten können, nie was bekommen und überhaupt diese ungerechte…ahh!!! Das macht mich so wütend!“ Er haute mit der Faust auf den Tisch und schnaufte heftig. Außerdem schaffte er es mit zwei sehr raschen Bewegungen die hüpfende Teetasse und das Sherryglas mit jeweils einer Hand zu fangen sodass nichts verschüttet wurde. Anschließend leerte er beide in einem Zug. Also zwei insgesamt. Obwohl auch das wieder so schnell ging, dass man sich da nicht hundertprozentig sicher sein konnte. Und vielleicht vermischte er auch beides im Mund und schluckte erst dann runter. Und gilt das dann als ein oder zwei Züge?
„Also hab ich wieder angefangen mich auf mein Kerngeschäft zu konzentrieren. Geschenke verteilen! Ich hatte damals ja eigentlich nur aufgehört, weil alle mich des Betrugs bezichtigten und ich offenbar nicht mehr gebraucht wurde. Klar, die Armen hätten mich weiterhin gebraucht, aber ich hatte damals einfach die Schnauze gestrichen voll, müssen Sie wissen!“
„So?“ Mehr als ein bis zwei Silben passten sowieso nicht zwischen den Redefluss des Mannes, also ließ es der Wirt gleich bleiben.
„Also habe ich wieder angefangen Geschenke zu verteilen. Aber nicht wie früher, neeein! ‚Fuck the System!‘, dachte ich mir. Ich ging also in die Läden und verschenkte einfach das Zeug dort. Alle freuten sich riesig. Groß und Klein, alle kamen sie herbei um sich beschenken zu lassen. Natürlich war mir klar, dass die Ladenbesitzer das irgendwann unterbinden würden. Aber ich achtete darauf, dass sich immer Kinder in der Nähe befanden und was sollten sie da schon groß sagen? Die Angestellten waren heillos überfordert, der Chef zeterte, es war einfach herrlich! Ich zog das immer nur ein paar Minuten durch und verschwand dann in dem Chaos. Tja, eine Weile ging das gut so. Aber irgendwann erwischten sie mich doch. Sie hatten nach und nach alle Kunden von meinem Standort abgeschirmt ohne dass ich es mitbekam und als die letzte Mutter mit ihrer glücklich strahlenden Tochter von dannen zog, fielen sie über mich her. Ich wehrte mich natürlich und schrie so, dass es jeder im Einkaufszentrum hören musste. ‚Gewalt gegen Weihnachten! Wissen Sie denn nicht wer ich bin!?‘, rief ich.“ Er stand jetzt vor dem Tresen und schlug wild nach imaginären Gegnern.
„‘Wissen Sie denn nicht wer ich bin!?‘ Doch sie zerrten weiter an mir, versuchten mich zu Boden zu drücken. ‚Ich!‘ Sie haben wirklich richtig mit mir gerungen, müssen Sie wissen. ‚Ich!‘ Mindestens 5 Wachleute. ‚Ich!‘ Meine ganze aufgestaute Wut entlud sich in diesem Gerangel. ‚Bin!‘ Aus dem Augenwinkel sah ich weitere Personen und Leute in weiß. ‚Ich bin!!!‘.“
Plötzlich stoppte der Alte sein wildes Gefuchtel. Sein Körper erschlaffte und er blieb still. Stand nur da.
„Ja? Ja?! Und weiter?!“, fragte der Wirt vor Aufregung fast platzend. Doch der Alte blieb still.
Und der Wirt platzte tatsächlich vor Aufregung. Was ein ziemliches Durcheinander in dem Laden veranstaltete und ihm doch noch mehr rötliche Dekoration verschaffte als dem Wirt lieb gewesen wäre. Die Mutter von dem Krach geweckt, trauerte sehr um ihren Sohn, tat dann aber das einzig richtige. Sie zündete die Bude an, kassierte die Versicherungssumme und brannte mit dem alten Mann durch. Sie mochte seine geheimnisvolle Art. Beide zogen nach Norwegen und eröffneten dort ein Strudelcafé tief im Wald. Es wurde per Mundpropaganda zu einem Geheimtipp bei Gourmets in der ganzen Welt und die beiden lebten glücklich bis…
Naja, bis zum Rekordwinter 5 Jahre später wo sie eingeschneit, eng umschlungen mit einem Lächeln auf dem Gesicht erfroren.
Ende der Geschichte.
Zumindest in diesem Universum.
In einem anderen ging die Geschichte wie folgt weiter:
„Ja? Ja?! Und weiter?!“, fragte der Wirt vor Aufregung fast platzend. Doch der Alte blieb still.
„Naja…“, er kratzte sich am Kopf, „weiter kam ich nicht.“
„Wie?“
„Naja, sie hatten mich fixiert und mich meiner Macht beraubt. Sie zerrten an meinem damals noch sehr prachtvollen Bart, beschuldigten mich…MICH!…mich wie der Weihnachtsmann aufzuführen. Aufzuführen! Pahh! Glaubt man sowas? Und sie nahmen mir meine Mütze ab.“
„Ach! Und durch das Abnehmen der Mütze haben Sie Ihre Kraft verloren und konnten plötzlich nicht mehr weiter kämpfen?“
„Nee, eher wegen der 2 Taser, die mir 50.000 Volt durch den Körper jagten und durch die Betäubungsmittel, die ich noch vor dem Aufwachen bekam und natürlich die ständigen Injektionen von Psychopharmaka während meines Aufenthalts im Irrenhaus.“
„Wow“, kommentierte der Wirt nach einer langen Phase des Schweigens und goss großzügig Sherry nach. Sich selbst auch gleich einen.
„Und wie sind Sie da rausgekommen?“
„Das wollen Sie nicht wissen“, sagte der Alte und wirkte leicht traurig.
„Ähhm, doch irgendwie schon.“
„Nein, nicht wirklich.“ Grimmig nippte er an seinem Sherry. Der Wirt griff erneut nach der Flasche, da er sich bei seinem Glas nicht nur mit Nippen zufrieden gegeben hatte.
„Doch wirklich! Sie bekommen auch so viel Nachschlag wie…“
Doch der Alte war weg und sein Glas war leer.

Epilog:
Ein Jahr später, es war der 4.Advent, hörte der Wirt im Radio, dass Meldungen aus aller Welt eingingen von einem globalen Flashmop bei dem als Weihnachtsmänner verkleidete Personen in Geschäften aller Art vornehmlich an Kinder Waren aus den Regalen verschenkten. Pro Einkaufszentrum jeweils einige Duzend gleichzeitig, sodass die Sicherheitskräfte immer eine ganze Weile brauchten um der Lage Herr zu werden. In dem perfekten Chaos entkamen viele der schenkfreudigen Täter. Die, die man fasste, sagten aus sie hätten den Aufruf vom Weihnachtsmann erhalten und man hätte ihnen gesagt es sei eine mit den Kaufhäusern abgesprochene Werbekampange. Ein Bekennerschreiben ging fast zeitgleich bei allen die Fälle bearbeitenden Polizeistellen ein. Allein das hielt man für eine logistische Meisterleistung und sei sich darüber hinaus völlig unklar woher der Unbekannte, der sich selbst ‚Der Weihnachtsmann‘ nannte, so schnell die Informationen hatte an welche Dienststellen er das schicken musste, zumal ‚Die Weihnachtswichtel‘, wie die Täter von der Presse kreativerweise getauft wurden, zu dem Zeitpunkt noch keinen Kontakt mit irgendjemandem aufnehmen konnten.
In dem Bekennerschreiben stand außer der Überschrift ‚Bekennerschreiben für das Verschenken von Geschenken zu Weihnachten‘, die wie der Rest in grazil verschnörkelten Lettern geschrieben war, nur Folgendes:
‚Ho Ho Ho und frohe Weihnachten ihr durchgedrehten Spinner!
Der Weihnachtsmann‘
*

*Sehen Sie, war doch gar nicht so schlimm!

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