Okt 312012
 

Stehe in der Schlange an der Imbissbude.
Sie ist sehr sehr lang.
Wenn ich meinen Blick nach vorne schweifen lasse, will mein Auge allerdings partout nichts erkennen was diesen Andrang rechtfertigen könnte. Auch die herüber wehenden Gerüche legen einem eher Flucht nahe, anstatt sich hier auch noch anzustellen.
In den Lokalnachrichten wurde diese Bude als schützenswertes „Original“ vorgestellt. „Mit ihrem ganz eigenen ‚urtümlichen Charme‘ verköstigt sie ihre ‚Gäste‘ Tag für Tag mit Speisen aus aller Welt. Solche Etablissements dürfen nicht durch neue schicke Fastfoodketten verdrängt werden.“
Warum daraufhin alle hier her rennen verstehe ich nicht. Erst recht nicht warum ich das auch gemacht habe.
Nach einer ersten Bestandsaufnahme stelle ich fest, dass der „urtümliche Charme“ wohl eher „unangenehme Scham“ ist und die Bezeichnung Etablissement hat dieser rostige Wagen auch nicht so recht verdient.
Die angepriesenen Speisen aus aller Welt bestehen aus Currywurst, Boulette, Wiener Würstchen, Bratwurst und Pommes. Eigentlich dachte ich die Zeit der Allmachtsphantasie, Deutschland sei alle Welt, wären längst vorbei. Curry ist hier wohl das Einzige was dem einigermaßen gerecht wird.
Und ob die Imbissfrau in ihrem Kasten da uns als Gäste betrachtet, wage ich ihrem Blick nach auch arg zu bezweifeln.
Der Duft nach altem Frittenfett steigt mir in die Nase als die Pommesbademeisterin die nächste Fuhre in die Friteuse wirft.
Früher war das Kochen in siedendem Öl ja Folter.
Für den ein oder anderen Frutarier ist es das sicher auch heute noch.
Die warten ja auch unterm Apfelbaum darauf bis der den Apfel freiwillig fallen lässt und erst dann essen sie ihn. Alles andere würde den Baum ja verletzen und ihm wehtun.
Wenn man denen die Pommeszubereitung als Kartoffelmassenselbstmord verkaufen will, glauben die einem das doch nie.
Das gewaltsame Entreißen der Kartoffel aus ihrem natürlichen Lebensraum, der anschließende Gefangenentransport über holprige Feldwege, die Feilbietung auf dem Sklavenmarkt, das Hautabschälen bei lebendigem Leib, der Einsatz des Tötungswerkzeugs Pommesschneider, das Baden in siedendem Öl und der schlussendliche Verzehr der Leichenteile ist für Frutarier sicherlich die reinste Horrorvorstellung.
Starr vor Schreck sitzen sie mit angezogenen Beinen auf der Couch, luken vorsichtig hinter dem Kissen hervor, während im Fernsehen grad Galileo läuft und die Produktion von Kartoffelchips erklärt wird. Natürlich nicht ohne dass sich ein riesenhafter Barbar später aufmacht um den größten Kartoffelchip der Welt zu essen.
Ich bin jetzt fast dran.
Die Imbissfrau steckt grade eine Wurst in den Häcksler, der sie unten als saubere Scheiben wieder ausspuckt.
Die ganze Szene um das Zerschneiden, ja fast Zerreisen der Wurst ist mir plötzlich äußerst unangenehm. Instinktiv kneife ich meine Beine zusammen um mein Allerheiligstes zu schützen.
Jetzt wo mir die Analogie klar geworden ist, verursacht diese Praxis ein sehr unwohles Gefühl in meiner Leistengegend.
Die nächste Wurst kommt in den Häcksler.
Die Frau tut dies mit einer Gleichgültig, die mir Angst macht. Ja erkennt sie denn nicht die Symbolik dahinter?
Ihr scheint es egal was sie da häckselt und wie sie es häckselt.
Oder erkenne ich da einen Schimmer von Genugtuung in ihren Augen?
Ich möchte nicht wissen an was oder wen sie dabei grade denkt.
Die rote Currysoße sieht für mich in diesem Moment so gar nicht nach roter Currysoße aus, eher nach…
Mir wird schlecht, ich schlucke.
Der Appetit auf Currywurst ist mir grade gründlich vergangen.
Ich entferne mich aus der Schlange und spüre das hämische Grinsen der Imbissfrau im Rücken.
Nur schnell weg von hier.
Noch an der nächsten Ecke glaube ich ihr verrücktes Lachen zu hören.
Zum Teufel mit Allerweltsessen, ich hol mir jetzt nen Döner!

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